Bedia - was ist das?

ich wurde 1971 in der Türkei geboren. Ich bin seit meiner Geburt stark sehbehindert, inzwischen fast völlig blind. An meine Kindheit in der Türkei habe ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungen - ich weiß aber wohl, daß es dort schön war. Wir lebten in einem Dorf Basakköyü, welches zu einer Provinz Malatya gehört. Es liegt in Ostanatolien.

1974

kam ich als Gastarbeiterkind nach Deutschland. Ich kann mich noch schemenhaft an meinen ersten Tag erinnern, wie ich nach der Reise aufwachte, meine Eltern waren in der Küche beschäftigt, und ich erkundete das Zimmer, in dem ich schlief. Das erste, was ich entdeckte, war ein viereckiger Kasten, dessen Knöpfe sich drehen ließen. Was habe ich mich vor dem Geräusch erschrocken, das aus dem Kasten herauskam. Dann entdeckte ich Eierkohle, wie ich heute weiß, und hielt es für Steine. Dann dachte ich, es könnten große Bonbons sein, aber nach was zu Essen rochen sie nicht. Wie gesagt - ich hatte ja "nur" meine übrigen Sinne außer den Augen, mit dem ich die neue Welt erstmal erkunden musste. Ich kann mich erinnern, dass ich vor vielen Geräuschen Angst hatte, gerade vor solchen, die sich auf mich zubewegten. Wenn ich am Ende eines Bahnhofes stehe und hinten in den Zug einsteigen will, dann mag ich das herandonnern von Zügen bis heute nicht. Ich kann mich auch an einen Krankenhausaufenthalt kurz nach meiner Ankunft erinnern. Bis heute erzählt mein Vater von der Blumenvase, die ich zerhauen haben soll, nur weil er mich nicht nach der Besuchszeit nach Hause mitnehmen wollte.

1979

wurd ich eingeschult und ging bis 1990 auf die
Johann-August-Zeune-Schule
in Berlin-Steglitz. Ich weiß noch, wie ich meine erste Blindenschriftmaschine bekommen habe, drei, vier Monate vor Schulbeginn. Ich fand das faszinierend, dass ich mit der Maschine Muster auf dem Papier erzeugen konnte, mehr war für mich die Brailleschrift erstmal nicht. Durch meine Schule sollte ich lernen zu Lesen und zu Schreiben und später dann meine Ausbildung machen. Aber erstmal war der sogenannte Perkensbrailler, wie die Schreibmaschinen heißen, mein geliebtes Spielzeug. Nicht, dass ich kein anderes Spielzeug gehabt habe. Ich habe gespielt wie andere Kinder auch. Habe so manche Schürfwunde, so manchen abgeschlagenen Zahn mit nach Hause genommen. Meinen Eltern bin ich dankbar dafür, dass sie mich haben ganz normal mit anderen - zumeist sehenden Kindern spielen lassen. Und als Kind verfügte ich noch über einen für mich ganz brauchbaren Sehrest. In meiner Schule hatte ich dann Kontakt zu anderen blinden Kindern. Zwar hatte ich in der Türkei noch zwei blinde Cosinen, aber die jüngere starb als Kind bei einem Sturz von einem Flachdach, und an die ältere, die noch heute lebt, kann ich mich aus meiner frühen Kindheit kaum noch erinnern.
Meine Schulzeit war ne klasse Zeit. So viel habe ich gelernt, so viel Blödsinn haben wir veranstaltet und die Nerven unserer Lehrer geraubt. Trotz meiner Tadel und meiner nicht immer lobenswerten Bemerkungen in meinen zeugnissen, habe ich einen guten Schulabschluß und eine gute Ausbildung gemacht. Für meine Lehrer war ich ein freundliches, hilfsbereites, vorlautes und rebellisches Kind. Und auch meine Eltern behaupten, dass ich je jünger ich war, je braver gewesen sein soll.

Doch gab es in meiner Jugend und Kindheit auch schwierige Zeiten. 1982

kam meine Mutter an die Dialyse, und war in den folgenden Jahren mehr im Krankenhaus als zu Hause. Bemerkenswert von meinem Vater, dass er alles - seinen Job, uns Kinder, den Haushalt und die Krankheit meiner Mutter bewältigte.

1981

muß es gewesen sein, als ich Renate Paris, unsere Nanni kennenlernte. Sie gehört mit meinen Eltern zu den Menschen, die mich am meisten im Leben geprägt haben. Für Nanni war ich ihr Traumkind, und als solche wurde sie für mich eine zweite Mutter. Sie kümmerte sich wie eine Mutter um mich, wollte aber niemals die Mutter für mich ersetzen. Von meiner Mama weiß ich, dass sie ihr noch heute dankbar dafür ist, und dass sie Nanni noch heute schätzt und mag und niemals auf sie eifersüchtig war oder ihr misstraut hat. Mit Nanni habe ich sowohl das Leben in einer türkischen als auch in einer deutschen Familie kennengelernt. Sie nahm mich mit in die Oper, ins Theater, finanzierte mir Klavierstunden, nahm mich mit in ihr Haus nach Förtschendorf und vieles mehr. Auch für meinen Vater wurde sie zu einer Vertrauensperson, aber irgendwann ging die Freundschaft in die Brüche. Ich habe noch heute zu ihr Kontakt und profitiere noch immer von dem, was sie mir als Kind und Jugendliche gezeigt, was sie mich gelehrt hat und von ihrem Rat heute.

1988

wurde meine Mutter transplantiert, ein Jahr zuvor kam meine Nichte Yasemin auf die Welt. Mein Bruder hatte 1985 geheiratet. Durch Yasemin, die ich fast zwei Jahre mit aufzog weiß ich, dass alle Kinder meine seien könnten und man nicht unbedingt ein Kind selbst auf die Welt gebracht haben muß, um es wie sein eigenes lieben zu können.
Zu meinem Bruder hatte ich bis Anfang der neunziger ein sehr freundschaftliches Verhältnis. Das beste, was er getan hat war, 1987 meine jetzige Schwägerin Atiye kennenzulernen und sie 1991 zu heiraten. Ati, wie ich sie immer nenne, ist mir mehr als eine Schwägerin. Sie ist meine Freundin, meine Schwester. Und als solche hat sie im Gegenteil zu meinem Bruder immer zu mir gehalten, auch wenn sie mit einigem in meinem Leben nicht einverstanden war und ich so einige Verbaldresche von ihr bekommen habe. Mir würd was fürs Leben fehlen, wenn es sie nicht mehr gäbe.

1988

begann ich auch meine Ausbildung als Telefonistin, Steno- und Phonotypistin in der Berufsschule, die zur Johann-August-Zeune-Schule gehört, und schloß meine Ausbildung 1990 mit guten Ergebnissen ab. Ich hatte das Glück, schon wärend meinen letzten Ausbildungsmonaten einen Arbeitsplatz zu finden. Ich arbeite noch heute in diesem Betrieb, war 11 Jahre in der Telefonzentrale und bin seit 2001 im Servicecenter.
Ich habe ein wunderbares Kollegenteam um mich herum. Sie helfen mir weiter, wann immer ich Hilfe benötige und ich sie darum bitte, lassen mich aber sonst die Dinge des täglichen Arbeitslebens so regeln, wie ich es möchte, und es am besten bewältigen kann oder will. Sie respektieren mich und meine Arbeit und behandeln mich "ganz normal" mit meiner Blindheit.
Zu meinen Vorgesetzten stehe ich nicht kritiklos, aber sehr dankbar. Sie haben mir 1999 meine über 60000 € teure Ausbildung für Telefonmarketing befürwortet und finanziert, haben mich im Juni 2005 einen HTML-Kurs speziell für Blinde besuchen lassen und lassen mich an allen betrieblichen Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen, die angeboten werden und in Frage kommen. Sie sind rücksichtsvoll und Engagiert. Ich denke, es muß zwischen uns ein stillschweigendes Übereinkommen geben: Sie helfen mir, wo sie können und nehmen Rücksicht und setzen sich für mich ein, und ich bemühe mich nach besten Kräften, Ihnen eine gute Mitarbeiterin zu sein, ohne Vollkaskomentalität.
Und trotz aller Bemühungen ist das Arbeitsleben nicht leicht für mich. Ich scheitere immer wieder an KollegInnen außerhalb meines Teams, für die es zu unbequem ist, sich mit meinen Belangen auseinanderzusetzen, die es einfach nicht besser wissen, aber auch nicht nachfragen und mich vor manche vollendete Tatsachen setzen, mit denen es mir schwer bis unmöglich wird, manche Aufgaben zu bewältigen - aber genau dort greifen mir meine KollegInnen im Team unter die Arme.

Im März 1995

bezog ich meine erste eigene Wohnung. Es war eine 2-Zimmerwohnung, die dem Blindenverein gehört. Aber es handelte sich um ganz gewöhnliche Wohnungen. Ich richtete mir mein Wohnzimmer in Mind-schwarz und mein Schlafzimmer in Baige-schwarz ein. Kontraste waren für mich damals sehr wichtig, denn je kontrastreicher, um so besser konnte ich noch mein Restsehen einsetzen. Über die Umstände meines Auszugs zu schreiben würde zu tief in meine Privatsphäre führen. Es sei nur so viel gesagt - ich bewältigte dieses ganz alleine, vom Möbelkauf übers einrichten bis zum Auszug selbst. Auch möchte ich hier klarstellen, daß meine Gründe nicht von der Natur waren, wie sie gerne in Filmen und Publikationen dagestellt werden, warum ein türkisches Mädchen ausziehen möchte. Es ging mir nicht um Freizügigkeit in Form von der knappsten Kleidung und jede Nacht einen anderen Kerl. Und Filme wie der Berlinalefilm "gegen die Wand" verärgern mich sehr, da sie nur eine Lebensgeschichte bzw. Situation darstellen, aber zum einen von der breiten Masse als allgemeingültig gesehen werden und zum anderen so oberflächlich sind, daß man als Mensch, der außerhalb dieser Kultur und Sitten lebt, leicht ein verzerrtes Bild bekommt. Jedoch kenne ich auch den Ärger den es bedeutet, wenn hier zwei Generationen mit zwei Kulturkreisen aufeinandertreffen. Und auc hier möchte ich kein Pauschalurteil sprechen, denn es ist nicht der Einzelne, sondern ein Großteil der türkischen Gesellschaft, die sich mit Tatsachen schwertut. Es gibt einen Film mit dem Titel "warum habe ich meine Tochter getötet", der auf sehr eindrucksvolle Weise die Ansprüche beider Generationen darstellt. Der Mord an seiner Tochter wird aus meiner Sicht diesem Mann nie zu entschuldigen sein, aber es werden Hintergründe und sichtweisen nachvollziehbar erklärt - egal, wie man nun dazu stehen mag.

Im August 1995

lernte ich meinen damaligen Mann Andre kennen und heiratete ihn im Dezember 1995. Was für eine Schnapsidee, die mein Leben verändern sollte. Mein Exmann ist sehend. Seit dieser Zeit hat mein Vater den Kontakt zu mir völlig abgebrochen - er hat mich verstoßen. Auch nicht entschuldbar, nur mit rein sachlichen Gedanken nachvollziehbar. Mein Bruder verhielt sich bereits nach meinem Auszug so wie mein Vater.
Nach anderthalb Jahren Ehestreß warf ich zuerst meinen Ehering in den Mülleimer und dann meinen Mann aus meiner Wohnung. Er war abhängig, bekam sein Leben nicht in den Griff und versuchte mich so zu formen und zu bestimmen, wie ich mein Leben zu führen hätte, wie es sein Schubladendenken zuließ, wie eine Blinde ist, und was das beste für sie ist. Als eigenständige Frau setzte ich mich zur Wehr, was Streß und Machtkämpfe um mein Leben bedeutete. Meine Ehe war geprägt von psychischer und körperlicher Gewalt, von denen ich noch heute Narben auf dem Rücken habe. Aber ich war doch die stärkere! Man muß mir nicht erzählen, wie ich als blinde Frau zu leben habe und nicht neidisch auf mich sein, daß ich trotz meiner Behinderung ein eigenständiges Leben führe, welches ich mir aufgebaut habe. Mann muß mich auch nicht ständig belügen und glauben, ich würde es nicht merken oder immer wieder verzeihen - auch da wird man an die falsche Frau geraten. Liebe hört dort für mich auf, wo sie mir schadet, und dieser Mann hat mir sehr geschadet, in jeder Hinsicht.

Im Oktober 1997

kam ich mit Pierre zusammen, meiner großen Liebe und dem Mann, den ich am 02.07.05 nach fast achtjähriger Beziehung nun endlich heiraten werde. Wir kannten uns bereits durch die Schule - wussten zumindest, wer der jeweils andere war. Durch ein Treffen der Jugendgruppe des Allgemeinen Blinden- und Sehbehindertenvereins Berlin lernten wir uns sozusagen neu kennen. Diese zeit begründet auch unsere Freundschaft, aus der unsere Liebe wurde. Wie oben geschrieben durchlebte ich in dieser Zeit Meinen Trennungsstreß und - schmerz mit meinen Exmann. Ich verlor Stück für Stück mein soziales Umfeld, da Gewalt und Agression leider auch nach außen wirksam werden, wenn man voll davon ist. Pierre war mir in dieser Zeit mein einziger Freund, der für mich da war, mir aber auch den Kopf wusch, wenn's nötig schien. Auch wenn er es sich gewünscht haben mag, so hat er in dieser Zeit doch keinen ernsthaften Versuch unternommen, mir mehr als ein Freund zu sein. War auch gut so, denn sonst wäre ich ganz schnell weg gewesen, und das muß er auch gewusst bzw. gespührt haben. Ich erinnere mich an viele Nachmittage bei Eis und Kffee mit ihm, an viele durchtelefonierten Nächte, an schöne Abende, alles in Freundschaft. Wenn's spät wurde, schlief er im Wohnzimmer auf meinem Sofa, und ich konnte darauf vertrauen, daß es auch dabei bleiben würde.
Pierre verspricht einem Menschen nicht das Blaue vom Himmel. Er schaut sich sein gegenüber an und lernt, wie er am besten mit ihm umgeht oder er distanziert sich von ihm. . Und eine Frau, die von Pierre geliebt wird, wird es immer gut bei ihm haben. Und ich bin so froh, daß ich diejenige sein darf - Pierre liebt, verehrt, achtet und respektiert mich. Er versucht mir zu helfen, wo immer und so gut er kann. Er möchte ein friedliches Leben mit mir führen, dass ist eines seiner Wünsche für sein Leben. Ich bewundere und Pierre für seinen Lebensmut, denn er hat's mit Blindheit, Diabetis, einer Hörbehinderung und seiner Nierenkrankheit bestimmt nicht leicht im Leben. Und doch ist Pierre derjenige, der dankbar für sein Leben ist und trotz allem Mensch bleiben will. Er ist fröhlich, unternehmenslustig. Er ist gastfreundschaftlich und ehrlich. Er gibt gerne und nimmt auch gerne an, was ihm von Herzen gegeben wird. Kurzum - ich liebe diesen Mann.

Dieser Text ist noch nicht vollendet; Fortsetzung folgt
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